Alleine schwinge ich mich nach der Verabschiedung von den Freundinnen, bei denen ich in Köln übernachtet habe, am Morgen des 04.09.2020 auf mein gepacktes Fahrrad und radele zum Treffpunkt von OKNB in Köln. Noch kenne ich keine*n meiner Mitfahrer*innen persönlich. Doch das ändert sich schnell. Zwischen Demos und dem Durchfahren besiedelter Gegenden, bei und in denen wir lautstark nach Klimagerechtigkeit verlangen, bleibt viel Zeit, um einander kennenzulernen, nebeneinander in Diskussionen verstrikt zu radeln, gemeinsam zu kochen und zu essen oder die Abende zusammen am Lagerfeuer zu sitzen. Denn unser Ziel ist es nicht, auf dem schnellsten, bequemsten und günstigsten Weg in einer neuen Stadt anzukommen, einfach nur, um dann einen Haken hinter den Namen der Stadt auf unserer Bucketliste zu machen. Nein, wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir, die Menschen im globalen Norden, durch unseren übermäßigen Konsum von Flugreisen, motorisiertem Individualverkehr, importiertem Essen, von so ziemlich allem, diesen Planeten zerstören. Wir wollen in die Gesellschaft tragen, dass das Gefühl der Leere in uns nicht durch immer mehr, immer schneller, immer höher oder immer weiter bekämpft werden kann, sondern nur durch Solidarität, ein schönes Miteinander und das bewusste Erleben der Natur, die uns umgibt und vor der wir uns in unseren Häusern doch zu oft verstecken.
In den 2 Wochen, die wir unterwegs waren, haben wir unfassbar viel Hilfsbereitschaft erfahren. Von den Menschen, bei denen wir übernachten durften, über die Menschen, die uns mit oftmals gerettetem Essen versorgt haben, bis hin zu den Menschen, die uns Einblicke in ihre Lebensrealität gaben. Insbesondere letztere haben diese Tour zu etwas ganz besonderem gemacht, denn wann kommen wir heutzutage denn schon in so kurzer Zeit ins Gespräch mit Menschen, die Viehzucht oder Landwirtschaft betreiben, mit Menschen, die schon lange gegen ein rechtswidriges Kohlekraftwerk (Datteln 4) kämpfen, mit Menschen, die sich um Moore (nebenbei große CO2 Speicher) kümmern, mit Menschen, die einen Gnadenhof bewirtschaften, mit Menschen, die Windkraftanlagen betreiben, mit Menschen, die sich ehrenamtlich um unsere Natur kümmern, mit Menschen, die sich mit freier Kommunikation (freifunk.net) auseinandersetzen, mit Menschen, die sich in der Politik engagieren und wirklich versuchen, etwas zu verändern, ja sogar mit Menschen, die ein Kohlekraftwerk betreiben. Gelernt haben wir dabei u. a., dass die EU mit ihren Gesetzen und Subventionen das Leben von kleinen Bäuer*innenbetrieben erschwert, dass diese sich wünschen würden, statt Gesetze von oben überzustülpen, würde die EU für jede Region individuell schauen, welche Maßnahmen dort wirklich sinnvoll sind. Dass das Verbot von Torfabbau in Deutschland lediglich dazu führt, dass große Unternehmen den Torf in Regionen abbauen, in denen es noch erlaubt ist, statt ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Dass der Staat die Pflege von Bäumen, die er selbst pflanzen ließ, nur honoriert, wenn die Personen entsprechende Zertifikate vorweisen und selbst dann ist dies nicht gesichert und noch so vieles mehr, dass es diesen Artikel zu einem Paper ausarten lassen würde.
Doch die gravierendste Lektion ist mit Abstand, dass der motorisierte Individualverkehr, obwohl er sich doch erst seit dem letzten Jahrhundert verbreitet, wie ein Geschwür in die Köpfe der Menschen eingedrungen ist und dort als alternativlos abgestempelt wurde. Die Straßen gehören den Autos. Für das Privileg begleitet von der Polizei über die gut zu befahrenden Landstraßen fahren zu dürfen, ernteten wir oftmals Kopfschütteln, Mittelfinger und Beleidigungen. Hatten wir nur eine Polizeistreife vorne als Begleitung, überholten uns die Autofahrer*innen gerne, obwohl wir mit rund 50 Fahrradfahrer*innen nun doch kein kurzes Hindernis darstellten. Auch mussten wir mit einigen Polizist*innen lange Diskussionen ausstehen, ob wir als lange 1er-Reihe auf dem Radweg fahren müssen oder doch in Zweierreihen auf der Straße fahren können, wie es laut § 27 StVO ein Verband von 15 oder mehr Radfahrer*innen darf.
Doch so bitter sich der letzte Teil auch anhörte, hat mir die Reise vor allem eines gegeben: Hoffnung. Die Hoffnung, dass es noch nicht zu spät ist, die Hoffnung, dass dort draußen Menschen sind, die mit uns stehen, die mit uns kämpfen, für diese wunderschöne Welt, von der wir nur eine haben.
Zum Abschluss möchte ich noch sagen, dass sich für mich wieder einmal bestätigt hat, dass Konsumkritik nur die eine Seite der Medaille ist und Systemkritik die andere, genauso wichtige. Deshalb sage ich: System Change NOT Climate Change!
P.S.: Wer an dieser Stelle auf einen detaillierten Bericht der Tour gehofft hatte und enttäuscht wurde, das hat Moritz Böll schon so wundervoll getan, dass es eine Verschwendung wäre, dies erneut zu versuchen: https://t.me/ohnekerosinnachberlin
Eli